Witzwort vertellt

60: Inflation und Sparsamkeit in Witzwort

Heute kommt Hans Knutz, der die erste Witzworter Chronik schrieb, hier zu Wort. Im Archiv fand sich ein Manuskript ohne Datum, betitelt „Altennachmittag“, also wahrscheinlich zum Vortrag bei einer solchen Zusammenkunft gedacht. Darin beschreibt er die Inflationszeit 1923/24 in Witzwort. Er war damals 21 Jahre alt.

"Wir haben in unserer Jugend mit der Inflation gelebt. Wir waren alle mehrfach Millionär, Milliardär und sogar im Endstadium Billionär. Uns hat die Zeit keine großen Kopfschmerzen bereitet, jedenfalls denen in meinem Alter noch nicht. Ich war damals Seminarist und ich erinnere mich noch gut an eine Klassenfahrt im Sommer 1923 nach Weimar zu den Schillerfestspielen. Wir waren im Ganzen 14 Tage unterwegs, natürlich in den Sommerferien. So eine Reise konnte man nicht mit unserer Reichsmark unternehmen. Wir hatten ein Theaterstück eingeübt und spielten in den damals erst vor kurzem abgetretenen Orten Tondern und Hoyer vor der deutschen Minderheit und kamen so zu dänischen Kronen, also zu stabiler Valuta (Währung). Ich erinnere noch, dass beispielsweise die Krone 27000 Reichsmark kostete und dass eine Reise per Zug von Niebüll nach Hamburg 850 Reichsmark kostete. So konnte man also 35 x die Tour machen für eine dänische Krone. So konnten wir mit unseren Kronen sehr gut reisen.

Wenn wir uns damals auch damit abfanden, so traf es doch die Alten 1924 entsetzlich hart. Sie konnten es sich einfach nicht vorstellen, dass Geld nichts mehr wert sein sollte. Es wurde erzählt, dass der alte Hans Matthiesen, der hier eine Zimmerei betrieb, sich abends hinstellte und mit einem Bügeleisen die zerknitterten Inflationsscheine glatt bügelte und die damals in seinen Augen leichtsinnige Jugend tadelte mit der Bemerkung: "De dore junge Welt, all dat schöne Geld". Dieser Ausdruck wurde dann bei uns sprichwörtlich, und wir konnten den von ihm ernst gemeinten Tadel oft anwenden, wenn wir bei Feiern etwas üppig mit dem Geld umgingen.

Wie sparsam war aber die Generation der damaligen Alten größtenteils gewesen. Da wurde mit dem Groschen und gar mit dem Pfennig gerechnet. Ich will bei dem alten Hans Matthiesen bleiben, um die Sparsamkeit an einem Beispiel zu illustrieren.

Elektrisches Licht kannten wir in Witzwort noch nicht. Wenn nun Besuch kam, musste zum Empfang der Gäste Licht im Flur brennen. Da gab es bei Matthiesen zwei verschiedene Lichtquellen. Einmal war es der kleine Petroleumpüster, der da angezündet war, wenn weniger vornehme Leute zu Gast kamen, die "Petroleumfremden". Dann hing am Deckenbalken eine vornehme Lichtquelle, eine rötlich leuchtende Ampel, die dann den Flur erhellte, wenn die Bauern, die „Ampelfremden“. zum Besuch geladen waren."

Hans Matthiesen war zur Inflationszeit 70 Jahre alt, wohnte in der Dorfstraße 8 und betrieb seine Zimmerei im Hofgebäude. Inflations-Geldscheine zeigte Lehrer Oesau in den 1940er Jahren seinen Schülern und fragte sie: "Wer will Millionär werden?" – daran erinnert sich Heinrich Alberts. Abgebildet sind zwei Geldscheine aus der Inflationszeit, die uns dankenswerterweise Gerhard Meier aus Aachen, Urenkel von Dorothea Martens, zur Verfügung stellte. Rechts ist mit einem Ehrenpokal Ratmann Jacob Hartwig zu sehen, der 1826 in Witzwort geboren wurde.

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