Witzwort vertellt

73: Einst der Mittelpunkt des Dorfes – der Kirchspielkrug

Einen Kirchspielkrug hatte früher jedes Eiderstedter Dorf. In Witzwort war er der größte Gasthof im Dorf mit Durchfahrt und Saal.

Er stand am Kirchspielplatz, dort, wo jetzt die Infohütte der Gemeinde steht und grenzte an das Haus Dorfstraße 6.Das alte Reet gedeckte Gebäude wurde 1898 durch einen zweistöckigen Neubau ersetzt. Knapp 80 Jahre später, 1976, brach man das Gebäude nach längerem Leerstand ab. Das Foto zeigt den Kirchspielkrug zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Wirtsfamilie Bruhn betrieb den Krug von 1881– 1950. Danach hießen die Pächterfamilien Pahl, Wieck und Wichmann.

Im und um den Kirchspielkrug spielte sich ein großer Teil des Dorflebens ab: Es gab eine Tanksäule der Marke Gasolin, die zunächst mit einer Handpumpe bedient wurde. In der Durchfahrt konnten Gespanne im Trockenen gewogen werden. Diese Durchfahrt wurde später zugemauert. Unten wohnte die Wirtsfamilie, und hier lagen die Gaststube und der Sitzungsraum des Gemeinderats, mit kleinem Abstellraum für den Tresor mit den Gemeindeakten. Ganz links lag die Lohe (Diele). Auf halber Treppe an der Hinterseite des Gebäudes gab es ein Frauenklo. Ein Fortschritt, dass frau nicht nach draußen musste! Beim „Geschäft“ saßen die Frauen zunächst ohne Zwischenwand nebeneinander und die „Goldeimer“ wurden dann auf den Misthaufen geleert. Für die Männer gab es draußen eine Pinkelrinne und ein Plumpsklo.

Im ersten Stock lagen über der Durchfahrt die Gästezimmer und die Bühne für den Saal. Im  4,70 Meter hohen Saal mit knapp 160 Quadratmetern Grundfläche wurde Theater gespielt, gefeiert und getanzt. Da der Saalboden schief war, landeten alle tanzenden Paare früher oder später an der Fensterseite. Im Saal wurde geturnt, bevor es eine Sporthalle gab – und auch die Schulweihnachtsfeiern fanden hier statt. Daran kann sich Anneliese Braasch noch gut erinnern: Sie war 1943 als Kind von Hamburg nach Witzwort gekommen und wohnte mit Mutter und Schwester bei der Oma in der Dorfstraße 38. Über die große Schulfeier am Heiligabend schreibt sie ihre Geschichte „Schöne Bescherung“:  

„För dütt Begeefnis harr Modder dat goot meent un mi swatte Lackschöh antrocken, un dorto harr se mi in en witte Gamaschenbüx stoppt. Dat wer so‘n Ort Leggings över Strümp un Schöh to dregen, mit en Gummiband, war ünner de Schöh langs leep, dat gode Stück an sienen Platz to hollen. Sowat harr dat ganze Dörp noch nich sehn!

Un denn kreeg ich en Kleed mit veele Knöpp und Stickeree an. Dat Material nööm sik Stichelhaar un so föhl sik dat ok an. Ik kunn mi gor nich so veel kratzen, as mi dat jöken dä. Dorto seet in mien Hoor en riesengroten Bodderlicker.

Ick wull so opfladuust nich losgahn un weer to Huus all opsternatsch, man Modder un ok Oma geven keen Pardon. Wi weren laat un dor harrn wi de Bescherung: Dat ganze Dörp keek sik mienen „Intog“ an. Oh, wat heff ik mi schaamt!“

Anneliese muss nun in diesem „Aufzug“ mit allen Kindern zusammen auf der Bühne stehen und singen: „Dat weer nich so slimm, denn ik weer groot för min Öller un stünn achtern.“ Dann wartet sie mit den anderen Kindern hinter der Bühne auf den nächsten Auftritt. Sie soll ein Gesicht aufsagen. „… un nu schull ick rut. Mien Hannen to Füüst ballt stünn ik dor, sluck miene Tranen dal, schüddkopp un sä: ;Nee! Ik gah dor nich rut!‘ un bleev stur op den Placken stahn. De Lehrerin wull mi vermünnern, man ik wull patuh nich. Hüüt warrt mit de Kinner disketeert … man as ik lütt weer, güng dat na de ole düütsche Aart. Modder kem, versöök kort mi ümtostimmen  un as ehr dat nich glücken dä, kreeg ik eerst en düchtigen Klaps op mien Achtergatt un denn en Schubs. Dor stünn ik nu ganz alleen in de gresige Kleedaasch op de Bühne. Na achtern kunn ik nich weg, dor stünnen Modder un de junge Lehrerin. Also – na vörn. Un denn heff ik mien Gedicht opseggt, ganz fix – un mit den Rüüch to dat Publikum. Achterran bün ik gau wegwutscht un na Huus lopen.“

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