Witzwort vertellt

76: Lorenz Plähn und die „zitternden braunen Hunde“

Am 18. Oktober 1944 erstattete die Gestapo in Kiel Anzeige gegen den Landwirt Lorenz Plähn wegen Wehrkraftzersetzung.

Der von den Nazis 1939 eingeführte Straftatbestand verlangte grundsätzlich die Todesstrafe. Als Wehrkraftzersetzung galten Kriegsdienstverweigerung, defätistische (also „miesmachende“, aj) Äußerungen und Selbstverstümmelung. Basis war die Anzeige durch Johannsen, Gendarmerieposten Witzwort, vom 28. August 1944 „wegen Beleidigung der Partei“. 

So wird der Vorwurf begründet: Plähn habe in Gegenwart mehrerer Zeugen gesagt: „Welche Hunde zittern am meisten? Die braunen Hunde. Die braunen Hunde zittern immer.“ Die NSDAP-Kreisleitung beurteilt Plähn so: „Ist kein Mitglied der NSDAP (…), ein politischer Wirrkopf. Gesinnungsgemäß gehörte er vor der Machtübernahme der Linken an. Plähn ist ein Besserwisser auf allen Gebieten. Der Deutsche Gruß (so nannten die Nazis den Hitlergruß, aj) wird von Plähn nicht erwidert. Plähn bietet nicht die Gewähr, sich jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einzusetzen.“

Lorenz Plähn war zum Zeitpunkt der Anklage 56 Jahre alt. Er lebte mit seiner Frau Martha  in Ingwershörn, dort, wo heute sein Urenkel Olaf Ingwersen wohnt. Er bewirtschaftete 13 Hektar Pachtland. In der ersten Vernehmung sagte er gleich, dass er den Witz nicht politisch gemeint habe. Der Anlass sei vielmehr die Läufigkeit von Feddersens Hündin gewesen.

Die Untersuchungen ziehen sich hin. Mittlerweile schreiben wir das Jahr 1945. Offensichtlich muss Plähn bis zur Hauptverhandlung, die der Hanseatische Strafsenat aus Hamburg im Husumer Amtsgerichtsgebäude durchführt, nicht ins Gefängnis. Die Hauptverhandlung findet am 15. März 1945 statt. – Bereits am 7. Februar hatten die Allierten Köln eingenommen, Hamburg folgte Anfang Mai. – Als Zeugen der Anklage geladen sind die Nachbarn Annemarie und Peter Feddersen (Legelichkeit 2) und Jakob Jessen (Ingwershörner Deich 2).

Im Laufe der Verhandlung schwächt das Gericht die Anklage vom Vorwurf der Wehrkraftzersetzung zu einem „Vergehen gegen das Heimtückegesetz“ ab, sodass ein Todesurteil ausgeschlossen ist. In der Urteilsbegründung wird hervorgehoben, dass Plähn von den Zeugen Feddersen und Jessen als „besonders arbeitsamer und hilfsbereiter Mann“ geschildert wird. Die Atmosphäre, in der der Witz zur Sprache kam – ein Abendessen im Hause Feddersen nach gemeinsamem Rapsdreschen – wird wortreich geschildert: „Angeregt durch den Geschlechtsverkehr, den ein dabei befindliches Hundepaar ausübte, wobei der Rüde – von brauner Farbe – stark zitterte, kam der Angeklagte nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung auf den Gedanken, folgenden, ihm vor längerer Zeit bekannt gewordenen „Witz“ zu erzählen: Ein Bauer hatte einen braunen Hund. Ein Nachbar sagte zu dem Bauern: ,Der Hund ist ja krank‘. Der Hundebesitzer entgegnete: ,Wieso ist mein Hund krank?‘ Der Nachbar erwiderte: ,Weil er so zittert.‘ Darauf sagte der Bauer: ,Braune Hunde zittern‘ oder ,zittern immer‘.“ Dass der Witz unpolitisch gemeint gewesen sei – was auch die Zeugen nicht ausschließen wollen –, nimmt das Gericht Lorenz Plähn nicht ab. Er wisse ganz genau, „was die wahre Pointe seines Witzes ist. Mit den ,braunen Hunden‘ waren die Träger des Braunhemdes, also die Parteiangehörigen gemeint, denen durch den ,Witz‘ Feigheit vorgeworfen wurde.“

Das Gericht bewertet Plähns „gehässige Äußerung über leitende Männer des Staates und der NSDAP“ zwar nicht als wehrkraftzersetzend, wohl aber als Vergehen gegen das Heimtückegesetz und verhängt eine Freiheitsstrafe von einem halben Jahr. Plähn hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gefängnisstrafe musste er vermutlich nicht antreten, weil das Kriegsende dem zuvor kam.

Die besondere, von Angst und Unsicherheit geprägte, Atmosphäre während der Naziherrschaft wird durch diese Geschichte sehr deutlich. Die Zeugen Jessen und Feddersen zeigen Lorenz Plähn an: vielleicht aus Überzeugung, vielleicht aus Angst vor Unannehmlichkeiten, wenn sie diesen Witz nicht „melden“ würden, vielleicht auch aus persönlichen Gründen. Der Witzworter Polizist Johannsen möchte sich als treuer Diener des Systems erweisen und leitet die Anzeige an den Landrat in Tönning weiter. Dabei kommentiert er teilweise die Zeugenaussagen („dass Plähn damit sagen wollte, dass die Partei jetzt zittert“) und lässt Plähn selbst nicht zu Wort kommen („da es Sache der Geheimen Staatspolizei ist, die Sache weiter zu verfolgen“). Das reicht dem Hanseatischen Oberlandesgericht, gegen Plähn die Anklage wegen „öffentlicher Wehrkraftzersetzung“ zuzulassen. Dass im Verfahren die Anklage abgeschwächt wurde, so dass Lorenz Plähn der Verurteilung zum Tode entkam, kann vielleicht daran gelegen haben, dass das Gericht selbst schon „zitterte“ wegen der bevorstehenden Niederlage des Nazisystems und zu diesem Zeitpunkt kein Todesurteil mehr fällen wollte, für das es später zur Rechenschaft hätte gezogen werden können.

Quelle: Staatsarchiv Hamburg

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